Flüchtige Nähe

17,90  inkl. MwSt

Die Geschichte einer Nacht und andere Erzählungen
Kurzgeschichten

E-Book und Leseprobe bei reinlesen.de

Verlag: Verlag Kern GmbH
Autor: Kislig, Peter

ISBN: 9783939478256 Kategorie: Schlüsselworte: , , , , ,

Beschreibung

Aus dunklen, unbekannten Tiefen kämpfte sich durch dichte Schwaden, zuerst zaghaft sich erhebend, dann alle Fesseln zerreissend, ein jubelndes «Sie kommt, sie kommt» in schwindelerregende Höhen, bis eine verborgene Gegenseite das Hochgefühl mit schweren Seilen wieder in die Tiefe zog…

“Flüchtige Nähe” ist eine der sechs wunderbaren Erzählungen des Schweizer Autors Peter Kislig, die eigentlich viel mehr als nur Geschichten sind. Die flüssige, wunderbare Sprache des Autors lässt den Wunsch, weiter zu lesen, sehr deutlich werden. Man fühlt sich in die Geschichten hineingezogen und vermag es kaum, aus ihrem Bann zu entfliehen. Mit weichen, klugen Worten schreibt der Autor über flüchtige Begegnungen, die Schwäche der Menschen, die Empfindsamkeit der Seele und über die Erkenntnis, dass in jedem Menschen etwas Einzigartiges verborgen ist.

Ein Buch, das in die Seele dringt und zum Nachdenken anregt..

Leseprobe

Der Schwall der Stimmen, das Geklirre von Gläsern und Besteck trommelte von allen Seiten auf uns ein und mir schien, ihre immer noch witzigen und strahlenden Augen hätten etwas an Glanz verloren. Unser Gespräch war über irgendwas aufs Reisen gekommen und plötzlich sagte sie unvermittelt: «Übrigens habe ich meinen Job im Spital gekündigt, ab Februar arbeite ich für das Rote Kreuz in Afrika. Ich war schon mehrmals dort. Diesmal habe ich einen längeren Vertrag unterschrieben.»

«Arbeitest du dort mit deinem Freund zusammen?», fragte ich mit tonloser Stimme. Die rote, goldbehangene Erhebung neben mir stellte ihr Geplapper sofort ein und der Kopf hörte auf, hin- und herzuschnellen. «Meinst du Erich? Wir sind ein paar Tausend Kilometer auseinander, aber gut möglich, dass wir uns mal sehen», sagte sie.

Obwohl aus ihrer Antwort nicht hervorging, ob sie noch liiert war, fühlte ich mich leer, leer wie das Gesicht des neben ihr sitzenden Mannes mit der roten Krawatte. Der Gesichtsausdruck meines Gegenübers war ein Spiegelbild meiner Verfassung. Kein greifbarer Schmerz. Kein Schock, nur plötzliche Leere. Leere wie in der abfl usslosen, von Bergen umzingelten Wüste Gobi, in welcher der spärliche Niederschlag nur langsam und leise versickert. Wir lachten und aus irgendeiner Schublade kamen ohne Verzug meine Antworten und Fragen, während ich beherrscht versuchte, meiner Stimme wieder den vollen Ton zu geben.

Bald aber hatte ich mich wieder gefasst und war erleichtert, als endlich der Hauptgang serviert wurde. Während des Essens streifte mein Blick das Antlitz meines Gegenübers. Der Wein hatte seine Gesichtsfarbe endgültig in die Nähe der roten Krawatte gebracht, ohne aber seine Zunge zu lösen. Seine Antworten fi elen immer noch alles bestätigend, höfl ich, bemessen und kraftlos aus. Nach dem Hauptgang zündeten sich einige der festlich gekleideten Männer dicke Zigarren an, ihre schön frisierten Frauen griffen nach schlanken Zigaretten. Nach seinem Großeinsatz in der Küche erschien Fred, der Wirt, abgekämpft, aber zufrieden hinter der Theke.
Er nickte den Gästen freundlich zu und hob im Minutentakt sein Rotweinglas. Die nahende Mitternacht wurde durch das Öffnen der Fenster angekündigt. Der entstandene Durchzug wirkte erfrischend, sammelte Rauch und Düfte und schob die Schwaden geschwind in die Nacht hinaus.

Plötzlich schlugen leise die ersten Glocken an. Es wurde still im Restaurant. Die Gäste schauten sich feierlich an. Der Kopf meiner Nachbarin schnellte nach links und rechts, um zu überprüfen, ob all ihre Küken das unmittelbar bevorstehende Ereignis wahrgenommen hätten.

Zusätzliche Information

Autor

Auflage

1.

Erschienen

Dezember 2010

Seiten

140

Einbandart

Hardcover